Empathie - ein Artikel von Thom Bond (GFK-Trainer)

So und so ähnlich, sehen Briefe aus, die Sie erhalten von Thom Bond, wenn Sie sich für den Kurs "Mitgefühl als Weg" entscheiden. Ein Jahr lang jeden Mittwoch wird eine Mail in Ihrem Postfach landen. Thom Bond war einst Schüler von Marshall B. Rosenberg. Er praktiziert und lehrt die GFK mit Freude.Woche 10
Das Thema der Woche (Woche 10)
Was Empathie ist
… und was Empathie nicht ist


"Das, was man mit den Ohren hört, ist eine Sache. Das, was der Verstand versteht, ist eine andere Sache. Aber das, was die Seele hört, geht weit über diese beiden Vorgänge, das akustische Hören und das Denkvermögen, hinaus. Demzufolge ist es erforderlich, dass wir leer sind. Denn wenn wir leer sind, hören wir mit unserem gesamten Wesen zu. Dann ist da ein direktes Verständnis von dem, was gerade vor einem ist - und das ist etwas, was nie nur mit dem Ohr oder mit dem Verstand erfasst werden kann.
-Chuang-Tzu

Empathie ist die grundlegende Praxis, die uns zum Mitgefühl führt. Es ist eigentlich ganz einfach, und gerade deshalb eine ziemliche Herausforderung.
Als ich heranwuchs, lernte ich, mit dem Verstand zuzuhören, oft mit einer anderen Absicht dahinter als mit dem Wunsch, mit der betreffenden Person in einen echten Kontakt zu treten. Oftmals, wenn ich jemandem zuhörte, war ich mit meinen Gedanken in der Zukunft… "Was kann ich darauf erwidern?" oder "Was für eine Lösung können wir uns ausdenken?" Ein anderes Mal war ich in der Vergangenheit und dachte nebenbei: "Woran erinnert mich das?"
Ich erkannte, dass diese Gedanken mich ablenkten und dass ich weniger imstande war, nachzuvollziehen, was die andere Person erlebte. Und so entdeckte ich Empathie. 
Empathie bedeutet das Erforschen unseres menschlichen Erlebens… unserer Gefühle… unserer Bedürfnisse… - sie sind unsere Lebensenergie, die zutage treten und uns führen möchte. Es geht um das Nachfragen, es geht um das Wissenwollen und um eine echte Neugierde darüber, was die andere Person durchlebt.
Es mag verwunderlich klingen, aber ich habe immer und immer wieder miterlebt, dass diese Suche, dieses Wissenwollen, uns auf einer tieferen Ebene miteinander verbindet; hier öffnen sich unser Herz und unsere Seele.
Die Fähigkeit, voll und ganz präsent zu sein - dies ist die Herausforderung, mit der wir Menschen des 21. Jahrhunderts konfrontiert sind. Wir sind alle höchst bewandert im Denken… im Gegensatz zum einfachen Zuhören. Oft, wenn wir versuchen, empathisch zu sein (sogar in Situationen, in denen wir Mitgefühl empfinden), sagen wir vielleicht doch Dinge, die uns mit dem anderen Menschen nicht in dem Ausmaß verbinden wie es durch Empathie der Fall wäre.
Es mag sein, dass wir uns für "nicht-empathische" Kommunikationsformen in unserem Leben entscheiden… und natürlich ist es möglich, dass manche ihren Zweck wunderbar erfüllen. Sie sind eben nur KEINE Empathie. Sie neigen dazu, den Raum anzufüllen; sie lassen meist keinen Raum. Das Bewusstmachen dieser Kommunikationsformen kann uns Wahlmöglichkeiten eröffnen, und wir können uns für eine tiefere Verbindung entscheiden, wenn wir das wollen.
Das folgende Zitat dient zur Veranschaulichung. Etwas, das ein Freund oder eine Freundin von uns sagen könnte, worauf dann weitere Beispiele für gewohnheitsmäßige, "nicht-empathische" Antworten folgen, die uns daran hindern können, zu einer tieferen Verbindung zu gelangen. Ich möchte damit nicht sagen, dass diese Formen der Kommunikation "falsch" sind. Sie sind eben nur keine Empathie. Klingt irgendeine dieser Antworten vielleicht vertraut für Dich?
"Manchmal hasse ich meinen Job. Mein Chef ist so ein Sklaventreiber!"

Vergleichen und Eins-drauf-Setzen

"Ja, meine Chefin auch. Sie ist nicht zu übertreffen! Sie macht einem das Arbeiten-Gehen echt zur Hölle. Ich kann mich an eine Situation erinnern, als …"
Oft werden wir an unsere eigene Situation erinnert, wenn Leute uns etwas erzählen, was sie bewegt. Vielleicht erzählen wir dann, ohne darüber nachzudenken, von unserem eigenen Erlebnis. Betrachten wir das nun einmal genauer… Haben wir gerade das Thema gewechselt? Haben die anderen uns etwas von sich erzählt, um uns etwas von unserem Leben zu entlocken? Wahrscheinlich nicht.

Instruktionen und Ratschläge geben

"Oh ja, ich weiß, was du meinst. Es gibt da übrigens dieses tolle Buch, das heißt, Wie liebt man einen Boss, der stinkt"… oder "Ja, wenn mein Chef das tut, dann habe ich mir angewöhnt …" oder "Hast du schon einmal versucht, mit jemandem von der Personalabteilung darüber zu sprechen?"
Wenn wir hören, dass es jemandem schlecht geht, nehmen wir vielleicht an, dass diese Person gern hätte, dass wir ihr sagen, wie sie mit der Situation umgehen soll. Es stimmt, wir sehen es nicht gern, wenn Menschen, die wir mögen, leiden, und deshalb wollen wir ihnen helfen. Aber tun wir das, um zu verstehen, was gerade in ihnen lebendig ist, oder arbeiten wir auf eine Lösung hin? Erwarten wir von ihnen, dass sie unseren Rat annehmen? Und falls sie es nicht tun, ist das für uns ebenfalls in Ordnung? Sind wir ganz für sie und das, was sie gerade erleben, da? Wahrscheinlich nicht.

Mein Freund Marshall Rosenberg sagte einmal zu mir, er gäbe nur dann Ratschläge, wenn er schriftlich, mit notarieller Beglaubigung und in dreifacher Ausfertigung darum gebeten würde. Natürlich sind Ratschläge manchmal im Leben angebracht… Es handelt sich dabei jedoch nicht um Empathie.

Als nichtig abtun

"Das ist ja gar nichts. Bei dieser Wirtschaftslage solltest du dankbar dafür sein, dass du überhaupt einen Job hast."
Es mag sein, dass wir reflexartig versuchen, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken, in dem Versuch, dass es der anderen Person hilft und es ihr dann besser geht.
Kannst Du dich an eine Situation erinnern, als Du diese Art von Rückmeldung erhalten hast und dir gedacht hast: "Oh ja, das ist wirklich wahr. Danke!"? - Ich nicht.

Das Problem aus der Welt schaffen und Beraten

"OK. Beruhige dich. Mach' dir keine Sorgen. Wir werden das schon durchstehen. Ich weiß, es fühlt sich im Moment schlimm an, aber ich bin sicher, es wird besser werden. Solche Probleme lösen sich früher oder später immer auf."
Wenn wir den Schmerz einer anderen Person hören, fühlen wir uns selbst vielleicht unwohl und möchten das Problem irgendwie lösen. Wenn wir in uns hinein spüren… um wessen Bedürfnis geht es dabei wirklich?

Mitleiden

"Oh, du Arme/r! Ich bin echt erschüttert, wenn ich das höre. Hört sich schrecklich an, dein Chef."

Mitleid (ein Gefühl mit jemandem teilen, indem man sich vorstellt, dass man das Gleiche durchmacht) ist etwas anderes als Empathie. Es ist vergleichbar mit einer Situation, in der man auf eine ertrinkende Person so reagiert, dass man selbst ins Wasser springt und mit ertrinkt. Ja, es zeigt dem anderen vielleicht in gewisser Hinsicht, dass man versteht, was gerade in ihm vorgeht. Es ist jedoch keine Empathie.

Informationen sammeln und Verhören

"Also, sag' mir, was genau hat er getan? Hat er das früher schon einmal gemacht? Kannst du da ein Muster erkennen?"
Das Sammeln von Informationen geht oft dem Erteilen von Ratschlägen voraus, es ist sozusagen die Aufwärmrunde, bevor man an die Lösung herangeht. Es mag stimmen, dass wir eine echte Neugier oder Unwohlsein über den Schmerz der anderen Person empfinden. Es mag auch tatsächlich ein echtes Interesse vorhanden sein. Es ist einfach nur keine Empathie.

Erklären und Verteidigen

"Na ja, ich bin selbst in einer leitenden Position und weiß, dass man manchmal die Peitsche knallen lassen muss. Wahrscheinlich hat er eine Menge Stress und meint es nicht so. Es ist wirklich nicht einfach, als Chef die ganze Verantwortung zu tragen."
Manches Mal wird durch den Schmerz einer anderen Person bei UNS etwas ausgelöst. Das kann besonders auf Situationen zutreffen, in denen wir denken, dass wir "schuldig" oder "verantwortlich" sind. In diesen Momenten geraten wir vielleicht in unsere eigene Sichtweise über die Geschichte… WIR brauchen Verständnis. Das Ergebnis davon ist oftmals, was ich TTNRS (Two transmitters, no receivers syndrome) nenne: "Zwei Sender, kein Empfänger-Syndrom". Manchmal nennen wir es "Streit". Es handelt sich dabei jedenfalls nicht um Empathie.

Analysieren

"Also - wo kommt denn so etwas Ähnliches noch in deinem Leben vor? Hast du jemals daran gedacht, dass das eins von deinen Mustern sein könnte? Vielleicht rührt das von deiner unerfüllten Beziehung zu deinem Vater her."
Manches Mal ist unser Interesse so groß, "den Dingen auf den Grund zu gehen", dass wir darüber das vergessen, worum es gerade wirklich geht. Unser dringendes Bedürfnis, verstehen zu wollen, um zu einer Lösung zu gelangen, oder unser Unwohlsein über den Schmerz eines anderen, treibt unser Gehirn dazu an, fieberhaft nach Antworten zu suchen. Oder vielleicht bewältigen wir unseren eigenen Schmerz auf diese Art und Weise. Zweifelsohne gibt es im Leben Situationen, in denen Analysieren angebracht ist. Es ist einfach nur keine Empathie.

Hm - was nun? Vielleicht Empathie
Ich bin sicher, niemand von uns hat jemals so etwas gesagt, wie in den oben genannten Bespielen (hahaha *ironisches Lächeln*). OK, ich schon, und ich werde es wahrscheinlich weiterhin tun. Der Unterschied ist, dass ich, wenn ich mir jetzt dessen bewusst bin, was ich tue, die Wahl habe, etwas anderes zu tun… falls ich das will.
Ich kann mich an Zeiten erinnern - bevor ich mich in Empathie geübt habe und mein Vertrauen in die Kraft der Empathie noch nicht entwickelt war - als ich erlebte, wie sehr ich mir eine Verbindung wünschte und nicht wusste, wie ich es anstellen sollte. Und wie sehr ich darüber frustriert, verwirrt und - gegen meinen Willen - von anderen abgeschnitten war.
Hier setzt die Empathie an. Am Anfang kann es soooo schwierig sein, auf diese gewohnten Gedankenmuster zu verzichten. Unser "Roboter" schaltet sich ein und es geht los - wir handeln so wie wir immer gehandelt haben.
Jetzt haben wir die Möglichkeit, eine neue Ebene des Seins in unser Leben zu integrieren… eine neue Fähigkeit, um eine andere Art von Verbindung herzustellen… Empathie. Zu Beginn ist es meist nicht einfach, die Aufmerksamkeit auf Gefühle und Bedürfnisse zu richten. Für mich ist es sicherlich eine Lebensaufgabe… aber eine, die mir einige der schönsten Momente meines Lebens beschert hat.
Mehr darüber erfahren Sie im Laufe des Kurses…


Aus der Praxis

Das Auto, die Golfstöcke und der Taxifahrer

Vor ein paar Jahren, als ich in Manhattan lebte, lieh ich mein Auto, einen Kombi, einer Freundin, die ein Auto brauchte, um in ihre neue Wohnung zu ziehen. Wir hatten vereinbart, dass sie es mir am frühen Abend zurückbringen würde. Ich wartete und wartete… und wartete. Kein Anruf, kein Auto. Schließlich schlief ich beim Warten auf meiner Couch ein.
Um circa 2.30 Uhr in der Früh wurde ich vom Telefon geweckt. "Thom, ich bin gerade mit dem Umzug fertig geworden, und jetzt habe ich einfach keine Energie mehr, das Auto noch zurückzubringen."
Ich fragte, "Wo hast du es denn hingestellt?"
Sie antwortete, dass es in einer Straße in der Gegend geparkt war, wo das Fleisch verpackt wird… mit Golfschlägern im Wert von $ 1.500 zur freien Sicht im hinteren Teil des Autos. Zehn Minuten später, nachdem ich mir eine ordentliche Portion Selbstempathie gegeben hatte (das ist eine andere Geschichte), war ich unterwegs, um mein Auto und mein wertvolles "Spielzeug" zu retten.
Ich taumelte in die Nacht hinaus und fand endlich ein Taxi. Ich stieg ein und wir fuhren die West Side Highway entlang zu meinem Auto. Als wir den Hudson Fluss entlang fuhren, kamen wir an der "USS Intrepid" vorbei, einem stillgelegten Kriegsschiff, das zu einem schwimmenden Museum umfunktioniert worden war.
Vom hinteren Sitz aus konnte ich nur die Augen des Taxifahrers im Rückspiegel sehen, als er zu sprechen begann. "Das letzte Mal, als ich dieses Schiff sah, war ich in Vietnam stationiert."
Wir hatten über den Rückspiegel Augenkontakt.
Ich antwortete: "Das muss wohl einige Erinnerungen in Ihnen hervorrufen."
"Ja."
Ich hörte in die Stille hinein, die folgte. Nochmals Augenkontakt. Nach einer Weile sprach er wieder. "Als wir zurückkamen, hassten uns alle."
Wir saßen still da, während die Reifen rhythmisch über Straßenfugen hüpften, ein unheimlicher Klang, beinahe wie Herzklopfen. Ich gab seinem Schmerz Raum, seinem Bedürfnis, gesehen zu werden, seinem Bedürfnis nach Wertschätzung, nach Liebe. Ich beobachtete, wie der Schmerz sich langsam immer stärker in seinem Blick ausdrückte, den er mir hin und wieder zuwarf. Ich sagte: "Ich kann mir vorstellen, dass das hart war, auf diese Art sein Leben zu riskieren. Ich wette, es hätte einen großen Unterschied gemacht, wenigstens ein bisschen Wertschätzung dafür zu bekommen."
"Ja….. Ja, das ist wohl wahr."
Immer noch über den Blickkontakt im Rückspiegel, bemerkte ich nun Tränen in seinen Augen. Wir fuhren jetzt, ohne zu sprechen und näherten uns unserem Ziel.
Ein paar Minuten später waren wir angelangt. Ich reichte ihm durch das kleine Glasfenster das Fahrgeld… und sagte ihm - mit Mitgefühl und Verbindung in meinem Herzen - ein einfaches "Danke". Ich öffnete die Autotür, stieg aus und wollte mich auf den Weg machen. Da hörte ich hinter mir, wie die Tür des Taxis aufging. Es war mein Taxifahrer - er kam auf mich zu, mit ausgestreckter Hand und einem Blick der puren Erleichterung. "Ich danke Ihnen". Wir schüttelten uns die Hände und verabschiedeten uns.

Diese Fahrt werde ich niemals vergessen. Niemals.


Übungen der Woche

Übung 1 - Werde bewusster. - Achte darauf, ob du irgendeine der oben erwähnten "nicht-empathischen", gewohnten Kommunikationsformen verwendest. Später, wenn du Zeit und Raum dafür hast, versuche, dir vorzustellen, wie eine "empathische" Antwort aussehen könnte. Wie fühlte sich die Person gerade? Was hätte die Person in diesem Augenblick gebraucht? Wovon hätte sie mehr haben wollen oder wonach sehnte sie sich gerade? Ziehe für deine Antwort die Gefühlsliste und die Bedürfnisliste zu Rate. Und nun stelle dir vor, was du eventuell antworten könntest.

Übung 2 - Spiele das Empathie/Nicht-Empathie Spiel - Mach diese Übung entweder mit einem anwesenden Partner/Partnerin oder am Telefon.
Schreibe als erstes einen Satz auf, etwas, das du vielleicht sagst, wenn du Empathie möchtest, wie z.B.: "Ich fühle mich wirklich gestresst wegen meiner finanziellen Situation." Tipp: Nimm etwas, das nicht zu wichtig ist - du wirst bald verstehen, warum.
Sage diesen Satz zu deinem/deiner Partner/Partnerin und bitte ihn/sie, mit einer "nicht-empathischen" Antwort zu reagieren, wie sie oben bei unserem Thema der Woche besprochen wurden. Das könnte etwa so klingen wie ein Vergleich: "Oh, du denkst, dass deine finanzielle Situation schlimm ist? Ich bin pleite, seit …" oder wie eine Lerneinheit: "Ich sehe es so: Es gibt dabei sicherlich etwas für dich zum Lernen" … oder wie als nichtig abgetan: "Entspann' dich, du machst das schon"… oder wie eine Informationssammlung: "Sag' mir, wann genau das alles begonnen hat."
Als nächstes versuche denselben Satz noch einmal zu sagen, und dieses Mal gibt dein/e Partner/Partnerin eine empathische Antwort. Das könnte z.B. so klingen: "Hast du gerade Angst und möchtest nachts ruhig schlafen können?"
Tausche danach die Rollen, so dass ihr beide die Möglichkeit habt, nicht-empathische Antworten zu empfangen, und ebenso eine empathische Antwort. Du wirst wissen, ob es funktioniert hat, wenn du eine hörst.

Für diese Übung könnte es am besten sein, mit der einfachsten Form von Empathie zu beginnen: "Fühlst du dich ______ (Gefühl von der 
Gefühlsliste), weil du mehr __________ brauchst (Bedürfnis von der Bedürfnisliste).

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